Neues :: aus der Kanzlei
Schwerbehindert und schutzlos im Verfahren
Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin ist seit 28 Jahren bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts beschäftigt. Wegen ihrer langjährigen Beschäftigung kann die Arbeitnehmerin nach dem anzuwendenden Tarifvertrag ordentlich nicht gekündigt werden. Allerdings ist die Arbeitnehmerin in den letzten Jahren auch öfter und langzeitig arbeitsunfähig. Deswegen wird arbeitgeberseits eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist von über einem Jahr angestrebt und das Integrationsamt um Zustimmung ersucht.
Das Integrationsamt behandelt das Ersuchen nicht nach den Kriterien einer ordentlichen Kündigung mit den erheblich längeren Fristen, sondern als außerordentliche Kündigung. Hier wird eine Zustimmung angenommen, wenn das Integrationsamt nicht innerhalb von zwei Wochen über das arbeitgeberseitige Ersuchen entschieden hat. In der knappen Frist von zwei Wochen können nicht einmal ärztliche Gutachten eingeholt und ausgewertet werden. Die Arbeitnehmerin vertritt die Auffassung, dass das Integrationsamt das Verfahren wie bei einer ordentlichen Kündigung anwenden müsse und die vorzeitig ausgesprochene Kündigung unwirksam sei. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen lässt durch Beschluss vom 02.06.2021 die Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig nicht zu (OVG Bautzen vom 02.06.2021, Az. 3 A 149/21). Beide Gerichte halten eine Überprüfung der korrekten Verfahrensvorschriften nicht für erforderlich, da die gekündigte Arbeitnehmerin im Widerspruchsverfahren Entlastungsgesichtspunkte habe vortragen können. Eine Rechtskontrolle über die korrekte Verfahrensanwendung durch das Integrationsamt lässt sich somit nicht erreichen; das Integrationsamt wird faktisch gezwungen, selbst wenn es anderer Auffassung wäre, die kurzen Fristen der außerordentlichen Kündigung anzuwenden bzw. eine Zustimmungsfiktion eintreten zu lassen.
Legitimation stellt sich durch Verfahren her (Niklas Luhmann). Wenn ein Verfahren nicht überprüft werden kann, erscheint es auch nicht als legitimiert.
Roland Gross
gross::rechtsanwaelte
Recht :: Aktuell
Geständnis der Gärtner
Nach Auffliegen von Cannabis-Plantage in Lindenau Bewährungsstrafen verhängt
Klein, aber fein sollte sie sein – eine Cannabis-Plantage in einem Lindenauer Hinterhof. Allerdings flog sie im Dezember 2008 auf. Die beiden Züchter hatten das Gewerbeobjekt als Probenraum für ihre Band gemietet, ihn aber nie als solchen benutzt.
Das ließ die Vermieterin letztlich stutzig werden. Am 21.01.2010 musste sich das Duo nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung vor dem Amtsgericht verantworten. Einer der Angeklagten wurde durch Rechtsanwalt Christian Friedrich, Fachanwalt für Strafrecht, von gross::rechtsanwaelte vertreten.
Keine Altersdiskriminierung zulassen
Auch in Deutschland darf wegen Alter nicht diskriminiert werden. Die Beachtung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtline 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 ist sicherzustellen. Auch in Rechtstreitigkeiten zwischen Privaten haben deutsche Gerichte erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des deutschen Rechts unangewendet zu lassen.
Auch in Deutschland darf wegen Alter nicht diskriminiert werden. Die Beachtung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtline 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 ist sicherzustellen. Auch in Rechtstreitigkeiten zwischen Privaten haben deutsche Gerichte erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des deutschen Rechts unangewendet zu lassen. Dies hat der Europäische Gerichtshof am 19.01.2010 in der Rechtssache Kücükdeveci aufgrund einer Vorlage des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf entschieden. § 622 Abs. 2 S. 2 BGB ist deshalb nicht mehr anzuwenden. Nach dieser Vorschrift waren bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres eines Arbeitnehmers liegen, nicht zu berücksichtigten.
Wir haben bereits in zahlreichen Kündigungsschutzverfahren und Einigungsstellenverhandlungen die Anwendbarkeit von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB problematisiert und auf diskriminierungsfreie Handhabung gedrungen.
Bisher wurde allerdings auch von Arbeitsgerichten immer wieder angenommen, die deutsche Vorschrift besitze weiter Geltung. Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof besteht nun Klarheit.
Es erscheint als bedauerlich, dass es erst einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bedurfte, um eine klare und durch nichts zu rechtfertigende Diskriminierung zu beenden. Seit dem Jahr 2000, als die Richtlinie erlassen wurde, musste dem deutschen Gesetzgeber bewußt sein, dass die eindeutig diskriminierende Regelung europarechtswidrig ist. Wer jetzt danach ruft, das Bundesverfassungsgericht möge den Europäischen Gerichtshof in die Schranken weisen, muss auch erklären, wie lange Deutschland sich unter dem Tarnmantel der nationalen Souveränität europäischem Recht widersetzen soll, wie lange Rechtssuchenden Unsicherheit zuzumuten ist. Es ist zu begrüßen, wenn Europa und europäisches Recht auch in Deutschland, insbesondere auch bei deutschen Arbeitsgerichten, ankommt.
Roland Gross
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsschutzversicherer müssen zahlen – Obliegenheit, unnötige Kosten zu vermeiden darf nicht ausufernd angewandt werden
In einer kürzlich für unseren Auftraggeber erstrittenen Entscheidung des Landgerichts Zwickau (Geschäftsnummer 1 O 140/09) wurde ein Rechtsschutzversicherer verurteilt, die gesamten Rechtsanwaltskosten für die Auseinandersetzung aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu übernehmen.
In einer kürzlich für unseren Auftraggeber erstrittenen Entscheidung des Landgerichts Zwickau (Geschäftsnummer 1 O 140/09) wurde ein Rechtsschutzversicherer verurteilt, die gesamten Rechtsanwaltskosten für die Auseinandersetzung aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu übernehmen. Der Rechtsschutzversicherer hatte sich damit herausgeredet, dass unser Mandant nicht klären darf, ob er für die Vergangenheit und für die Zukunft Anspruch auf Rentenzahlungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung hat, sondern nur vergangene Ansprüche einklagen darf. Dies wurde vom Rechtsschutzversicherer damit begründet, dass laut den Versicherungsbedingungen unnötige Kosten vermieden werden müssen.
Wir haben gegen diese Auffassung Klage eingereicht und schließlich vom Landgericht Zwickau Recht bekommen. Das Landgericht Zwickau schließt sich insoweit der ständigen Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte an.
Es teilt unsere Ansicht, dass nämlich der rechtsschutzversicherte Mandant nicht darauf verwiesen werden kann, den billigsten Weg zur Durchsetzung seiner Rechte zu nehmen. Vielmehr kann er die rechtliche Hilfe in demselben Umfang in Anspruch nehmen, die ein nicht rechtsschutzversicherter Mandant in Anspruch nehmen würde. Insbesondere ist er nicht verpflichtet, lediglich Teilklagen zu erheben, also seine Ansprüche nur teilweise geltend zu machen.
Wir haben schon mehrfach darüber berichtet, dass verschiedene Rechtsschutzversicherer mit fadenscheinigen Risikoausschlüssen versuchen, ihrer Kostentragungspflicht ganz oder zumindest teilweise zu entgehen. Wir empfehlen allen Mandanten, ablehnende Entscheidungen ihres Rechtsschutzversicherers nicht ohne weiteres hinzunehmen, sondern die Aussichten für eine Vorgehensweise gegen den Rechtsschutzversicherer genau prüfen zu lassen. In vielen Fällen hilft eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Versicherungsvertrag und den Versicherungsbedingungen, um die Angelegenheit doch unter den Versicherungsschutz fassen zu können.
Als Ansprechpartner in versicherungsrechtlichen Fragen steht Ihnen Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht Tino Drosdziok zur Verfügung.